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Zerschnittener Wesenskern

(Musik: Gentle with myself, Karen Drucker) Er hört Schritte vor der Tür. Gleich wird sie wieder hereinkommen. Zuerst der Schlüssel, der in das Schloss gesteckt wird. Dann das Geräusch, wenn der Schlüssel umgedreht wird und die anderen Schlüssel berührt. Die Türe, die langsam aufgeht. Ein Windhauch, der frischen Wind von draußen in das Zimmer trägt. Der Wind, der zwei Stimmungen vermischen wird. Die Stimmung von zu Hause und die Stimmung von draußen. Sie wird die Tür schließen

Das Spiel

(Musik: At the Ivy Gate, Brian Crain) „Das ist alles nur ein Spiel!“, schrie er laut in die Menge. Die Leute waren schockiert. Warum schreit da jemand so laut? Sie hielten ihre Notizbücher in den Händen. Kaufen, verkaufen – so wenige Wörter wurden gebraucht. Alles sinnentleert, einem mathematischen Muster folgend, das sich an den Zufälligkeiten der Weltwirtschaft orientiert. „Seht ihr das denn nicht?”, schrie er weiter. Mit Tränen in den Augen. „Schaut doch hin! Ist das wirkl

Der Weg des Sisyphos

„Wie oft denn noch?!“, schrie er hinauf zu den Göttern. Vor ihm stand der riesige Stein. Es war nur ein kurzer Augenblick. Wie lange hatte er ihn schon hinaufgeschoben? Er war kräftig, begeisterungsfähig, willensstark und ehrgeizig. Er fokussierte sich auf sein Ziel und tat alles, um es zu erreichen. Wie viele Ziele er schon erreicht hatte. Schon früh hatte er begonnen. Er hörte damals vom Marathon. Von dem endlos langen Lauf. Er war so lang, dass man am Ende in Ruhe sterben

Brutale Heilung

Er wischte sich das Blut von seinen Händen. Der Waschlappen war noch feucht, aber benutzt. Es war eine lange Nacht gewesen. Der Keller war feucht und dunkel. Er musste mehrmals mit dem Lappen über seine Knöchel wischen. Erst jetzt bemerkte er, dass es nicht nur das Blut des anderen war. Auch seine Haut war von den Schlägen aufgeplatzt. Beim nächsten Mal sollte er wieder Handschuhe anziehen. Der andere Mann saß vornübergebeugt im Sessel. Wahrscheinlich war er ohnmächtig. Auch

Der gefallene Engel

(Musik: Henry come on, Lana del Rey) Henry legte sein Gesicht in seine Hände und weinte zum ersten Mal. Die Tränen flossen aus seinen Augen und durch seine Finger hindurch. Ein Tropfen nach dem anderen bildete sich auf seiner Hose. Sie zerbarsten wie die Bomben, die draußen zu hören waren. Anfangs kamen sie noch langsam, doch dann öffnete es sich wie ein Staudamm. Der starke, durchtrainierte Mann saß auf seiner Militärpritsche und weinte. Sein Körper schüttelte sich. Er began

Präzision

Es ist 5 Uhr morgens. Er schneidet das Brot. Schnell und präzise. Jedes Stück ist exakt gleich breit wie das andere. Er verwendet kein Küchenmesser, sondern das Messer, das er im Krieg an seiner Seite hatte. Es war schärfer als die anderen Messer und lag gut in der Hand. Er war trainiert, es zu benutzen. In jeder Situation. Nur Brote hatte er damit damals nicht aufgeschnitten. In exakten Bewegungen schneidet er ein Stück nach dem anderen ab und legt es auf einen großen Teller

Die Vergangenheit

(Musik: From a Distance, Grandbrothers) Lange Zeit wusste er es nicht. Wie hätte er es auch wissen sollen? Wenn man nur dieses Leben und diese Wahrnehmung hat, ist der Unterschied zu den anderen nicht sofort ersichtlich. Wie der Fisch im Wasser, dem das Wasser nicht bewusst ist. Es war immer Wasser hier. Bei seiner Geburt war er ein Fisch im Wasser, sein ganzes Leben lang war er ein Fisch im Wasser und er wird voraussichtlich auch im Wasser sterben. Das Leben eines Fisches. U

Goliath gegen David

Es war ein Akt der Zärtlichkeit, als er der Fliege ein Bein ausriss. Neben der kleinen Fliege wirkten Davids Finger riesig, obwohl er noch ein Kind war. Den ganzen Tag jagte er ihr nach, weil sie ihn die ganze Nacht über nicht hatte schlafen lassen. Das erste Mal erwachte er mitten aus einem Traum. Es ging darum, wer der Anführer der Buben-Gang war. In Wirklichkeit war er der Chef und passte sehr genau darauf auf, dass niemand seinen Status untergräbt. Doch im Traum war es an

Die Realität der Vorstellung

(Musik: Uninvited, Red Sun Rising) "Das Gericht spricht Sie schuldig im Sinne der Anklage". Ein Raunen ging durch den Gerichtssaal. Die Augen weiteten sich, es wurde aus- und schockiert wieder eingeatmet, der Kopf fassungslos geschüttelt, zustimmend genickt, die Hände vor das Gesicht gehalten und geschluchzt. Er nahm den Saal und die Menschen aber nicht wahr. Er spürte nur die Erleichterung und die tiefe, lang ersehnte Entspannung nach einem Jahr voller Ungewissheit. Wie ande

Fremdheilung

Sie verdrehte die Augen, während er zufrieden stöhnte. Es war ein Fleischberg, der vor ihr lag. Oder ein Fettberg. So viel Masse, die nur einem Menschen gehörte. Links und rechts von der Massageliege hingen seine Schwarten bis zum Boden. Sehnsüchtig blickten sie nach unten; so gerne würden sie fallen und sich dem Körper entziehen. Doch die Haut hielt die innere Masse in dem Individuum, dem Unteilbaren, zusammen. Dividuum, "teilbar", in, "nicht", nicht teilbar, das Unteilbare.

Das umgedrehte Spiel

Sie wusste schon lange, dass er sie betrügt. Am Anfang waren es nur vage Vermutungen, erste Anzeichen und ein intuitives Gefühl, dass er sich anders als sonst verhält. Dann sah sie es beiläufig auf seinem Computer. Den Chat, in dem er sich gerade das nächste Treffen ausgemacht hatte. Er hatte ihr an diesem Abend noch gesagt, er treffe sich mit einem Freund. Aber er hatte es zu unauffällig gesagt. Mit so viel Bedacht, dass es nicht auffällig klang, sondern zu unauffällig wurde

Das Hamsterrad

Er spürte die Bewegungen seines Mundes. Er ging auf und zu, begleitet von den Vibrationen seiner Stimmbänder, die durch gezielte Atemzüge in Schwingung versetzt wurden. Die Laute verdichteten sich zu Worten und Sätzen, die durch den Raum schallten. Es war alles so eingeplant und klar. Sein Körper funktionierte unabhängig von seinem Geist. Wie automatisiert bildete sich ein verbalisierter Gedanke nach dem anderen. Erstaunt musste er feststellen, dass er sich sogar über diesen

Die Stille der Einsamkeit

Sie sitzt im leeren Haus. Es ist dunkel geworden. Nicht von der Tageszeit, sondern von der Stimmung. Einst war es hier voller Leben gewesen. Sie kann sich noch gut daran erinnern. Die Kinder liefen um den Tisch herum, um sich gegenseitig zu fangen. Claudia war meistens schneller als Jonas. Um das Spiel spannender zu gestalten, lief die ältere Schwester manchmal etwas langsamer, um ihm einen Vorsprung zu ermöglichen. „Ich komme gleich. Gleich habe ich dich“, drohte sie ihm spi

Eine perfekte Familie

Ein reich gedeckter Tisch aus massivem Eichenholz. In der Mitte stehen verschiedene Teller. Falscher Hase, Kartoffeln mit Petersilie, ein frisch gepflückter grüner Salat mit Tomaten und Zwiebeln. Eine zusätzliche Schüssel für die Bratensoße steht daneben. In einer Kanne steht frisch gepresster Orangensaft, daneben ein gekühlter Weißwein. Das Tischtuch ist kunstvoll, aber schlicht bestickt und die früheren Patzer wurden wieder sauber gewaschen. Das Besteck ist etwas klobiger a

Der gemeinsame Weg

(Musik: With a little help from my friends, Joe Cocker) „Na, komm schon!”, rief sie ihm zu, während sie über den Waldweg gingen. Sie trug ihre neue Jogginghose und war froh, endlich wieder an der frischen Luft zu sein. Es roch herrlich im Wald und die Natur im Frühling spiegelte sich in ihrem Magen wider. Alles blühte auf, die Welt erblickte erneut das Leben, das überall sprießen wollte. Blumen, Bienen und die Vögel am Himmel, sie könnte gerade alle umarmen. Sie atmete tief e

Der tiefe Wunsch

(Musik: Wandering Mind, Calmly) „Willst du nicht aufessen?“, fragte er seinen Sohn, obwohl er bereits wusste, dass dieser nicht antworten würde. Es vergingen einige Sekunden. Nur das Ticken der Küchenuhr war zu hören. Wenigstens irgendetwas bewegte sich. „Warum heißt es eigentlich Tick-Tack? Das Geräusch ist doch immer dasselbe, also Tick-Tick oder Tack-Tack“, hörte er sich denken, während er auf die Reaktion seines Sohnes wartete. „Na gut“, sagte der Vater nach einer gefühlt

Halbmarathon

Sie fühlt sich, als könnte sie einen Halbmarathon laufen. In letzter Zeit ist sie oft joggen gewesen und fühlt sich stark genug, um ihn zu bewältigen. Sie sieht sich schon den ganzen Weg laufen, dabei schwitzen, angefeuert werden, ins Ziel kommen und stolz auf sich sein, weil sie es geschafft hat. Der Startschuss knallt über die Menge, die sich träge, aber motiviert bewegt. Schnell kommt sie in ihren Rhythmus und stellt sich bereits vor durch das Ziel zu laufen. Nach kurzer Z

Der Termin

(Musik: Give it 100, Saint Chaos) „Fuck, fuck, fuck!“, fluchte er laut. „Fahr endlich weiter!“, schrie er das Auto vor ihm an. Und wieder blieb es stehen. Das rote Licht strahlte durch den verregneten Abend wie brennende Laserpointer in seine Augen. Wollte er, dass er erblindet? „Fahr endlich, du Arschloch!“ Er war tief in seiner Wut verloren. Von außen hätte man ihn in Zeitlupe beobachten können. Ein Mann in seinem schwarzen Auto. Sein Lenkrad war mit edlem Leder umspannt. B

Die Erde

(Musik: Lights off, Parov Stelar) Er lässt los. Es ist Zeit, loszulassen. Seine Vorstellungen schmelzen. Sein Herz schmilzt in seinen Händen. Es zerfließt. Ängstlicher, kalter Schauer, der sich den Rücken hinunterzieht. Aber er spürt ein wohlig warmes Gefühl in den Händen. Es ist richtig. Die warmen Tränen fallen auf das zerfließende Herz. Sie vermischen sich zu Feuer und Wasser. Und fließen. So gerne würde er sie aufhalten, festhalten, nie wieder loslassen. Und doch ist es r

Der Ozean

Er springt von der Klippe. Er weiß nicht einmal, warum. Mit voller Kraft ist er weggesprungen. Offensichtlich hat er richtig Anlauf genommen, denn sonst hätte er nicht so weit springen können. Während er in der Luft mit den Armen rudert, spürt er die Felsklippe hinter sich und gleichzeitig die Gischt unter sich, die in Sprühregen zerfällt. Mitten im Nichts, im freien Fall über dem Ozean. Vor ihm erstreckt sich der ewige Horizont, unter ihm liegen die Tiefen des Ozeans. Wie in

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